„Demenz – Wer sind wir, wenn wir alles vergessen?“ hieß das Thema einer Diskussion im Rahmen der Reihe „Sternstunde Philosophie“ des SRF, welche unter „Tipps & Links” aufrufbar ist.
Im Kern geht es dabei um die Frage nach der persönlichen Identität und Würde eines jeden Menschen. Unter Identität ist zu verstehen, welches Bild man von sich selbst hat, wie man sich selbst sieht und von anderen Menschen gesehen werden will.
Wenn wir nun demenziell erkranken und nach und nach alles vergessen, geben wir unsere Identität in deren Hände und verlagern unsere Würde in ihr Verhalten uns gegenüber. Insofern trägt unser soziales Umfeld die Verantwortung, dass unsere Identität und unsere Würde gewahrt bleiben.
Das setzt voraus, dass unser Selbstbild in seinen psychobiografischen Entwicklungen und Brüchen bekannt ist und abgebildet werden kann.
Da jeder Mensch von Demenz betroffen sein könnte, sollte sich jeder so gegenüber demenziell Erkrankten verhalten, als sei er selbst betroffen. Jeder sollte in seinem Umgang mit ihnen dazu beitragen, dass Betroffene das Gefühl behalten, Teil derselben Welt zu sein.
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Alles zu vergessen bedeutet, dass die Aufrechterhaltung der Identität und Würde demenziell veränderter Menschen ausgelagert und immer mehr ihrem sozialen Umfeld übertragen wird.
Demzufolge wird die Art der zwischenmenschlichen Beziehungen im Umgang mit den Betroffenen von maßgeblicher Bedeutung.
Notwendig macht sich eine Beziehungskultur, welche sich allerdings grundsätzlich von unserer normalen und alltäglichen Soziokultur unterscheidet.
Die Pflegenden und Betreuenden müssen daher in beiden Beziehungsarten zu Hause sein.
Zum besseren Verstehen der Unterschiede bieten sich Analogien zur Stammeskultur an, in der Sabine Kuegler lebte und die sie in ihrem Buch „Dschungelkind“ erzählt.
Für die Gestaltung der Beziehungen mit demenziell veränderten Menschen ist wichtig zu wissen,
– dass sich die Betroffenen bloßgestellt und beschämt fühlen, wenn sie aus ihren Lebenswelten herausgerissen werden, ihnen widersprochen wird, und sie auf unsere Realität hingewiesen werden;
– dass sie eine für uns normale Kommunikation überfordert, weil sie unfähig sind zur geteilten Aufmerksamkeit, das Spektrum des Reizgefüges unserer Kommunikation gleichzeitig und angemessen zu erfassen und zu verarbeiten; deshalb Validation.
Wenn im Alter Symptome auftreten wie sich neue Sachverhalte nicht mehr merken, sich nicht mehr auf alltägliche Dinge konzentrieren und sich nicht mehr räumlich und zeitlich orientieren zu können, dann muss nicht unbedingt Demenz vorliegen.
Es kann gleichfalls Depression sein.
Depressionen können kognitive Beeinträchtigungen beinhalten so wie Demenzerkrankungen depressive Episoden.
Eine richtige Zuordnung derartiger Symptome ist essentiell wichtig, weil die neurodegenerative Erkrankung Demenz als Krankheit des Vergessens den bisher noch unheilbaren Abschied vom eigenen Ich bedeutet.
Die psychische Störung Depression hingegen kann beispielsweise durch den medikamentösen Eingriff in den Dopaminhaushalt und durch Psychotherapie erfolgreich behandelt werden.
Ob eine Demenz oder eine Depression vorliegt ist natürlich einer fachärztlichen Diagnose mit Computertomograhie und Nervenwasseruntersuchung vorbehalten.
Namentlich Demenz vom Alzheimertyp entsteht aber nicht über Nacht, sondern bahnt sich über Jahre an.
Nur langsam geht das kognitive Vermögen verloren und die Konzentrations- und Merkfähigkeit lässt nach.
Oftmals sehr lange können Betroffene noch eine soziale Fassade aufrechterhalten und alltagsrelevante Einschränkungen kaschieren.
Deshalb bieten sich unterhalb einer aufwendigen fachärztlichen Diagnose niederschwellige Möglichkeiten an, demenzielle Entwicklungen zu belegen.
Bewährt hat sich hierbei der sogenannte Uhrentest, indem die Betroffenen in einen Kreis die zwölf Ziffern einer Uhr sowie die Stellung der Zeiger einer vorgegebenen Uhrzeit einzeichnen.
Auch sollte man auf die Fähigkeit zur inhaltlich sinnvollen Strukturierung von Sätzen achten.
Wenn der jeweilige Sachverhalt richtig reflektiert und sich klar und strukturiert geäußert wird, kann Demenz weitestgehend ausgeschlossen werden.
Wenn aber der Sachverhalt unreflektiert bleibt, Aussagen oberflächlich und sinnvolle Satzstrukturen nicht erkennbar sind, dann ist ein demenzieller Krankheitsverlauf wahrscheinlicher als eine Depression.