So wollen wir „Aufholen nach Corona“ in Chemnitz

Medien und Miteinander - Digitale und analoge Welt im Einklang

zwei Frauen im Gespräch

Bedürfnis-Kängurus und Beobachtungsspiele – Soziale Kompetenz (wiederer-)lernen

Das Rascheln voller Schulranzen, Rufe und Gelächter quer über den Gang, das Klingeln zur nächsten Stunde – die Geräuschkulisse der Albert-Einstein-Grundschule in Chemnitz scheint wie immer. Doch die „Corona-Pause“ hat auch hier im Schulalltag Spuren hinterlassen. „Wir haben deutlich festgestellt, dass vielen Kindern die Rückkehr in den Klassenverband schwergefallen ist. Gegenseitige Rücksichtnahme, Empathie und soziale Kompetenzen im Allgemeinen mussten zum Teil wieder neu gelernt werden“, beschreibt Schulsozialarbeiterin Berenike Brockhoff, die neben einem Streitschlichtungsangebot und der Schülerzeitung nun auch das Thema soziale Kompetenz an der Grundschule in Chemnitz-Morgenleite mitbegleitet. Denn um die Kinder bei genau dieser Herausforderung zu unterstützen, gibt es seit Oktober 2022 ein neues Angebot für die 1. und 2. Klassen, entstanden aus dem „Aufholen nach Corona“-Projekt, begleitet vom AWO-Kreisverband Chemnitz und Umgebung e.V.

Wie geht gutes Zuhören?

Gemeinsam mit Ellina Perelmann, Coachin für soziale Kompetenz, bringt die Schulsozialarbeiterin den Grundschüler:innen jeden Montagmittag spielerisch verschiedene Themenbereiche rund um das menschliche Miteinander bei. Aufgestellt im Kreis starten Kinder und Erwachsene gemeinsam mit einem Bewegungsspiel, um die Konzentration und Koordination zu schärfen. Nach der „Aufwärmung“ lernen Lilli, Paul und Linus, wie gutes Zuhören funktioniert. Sie erzählen sich gegenseitig von ihren Wochenenden oder tauschen sich darüber aus, was sie im Unterricht am meisten stört. Dabei wird aufmerksam gelauscht, genickt und nachgefragt, auch wenn das nicht immer allen leichtfällt. „Es lenkt mich ab, wenn die anderen Kinder so laut sind“, oder „Mich stört es, dass mein Banknachbar immer reinredet, wenn ich etwas sage“, berichten die Grundschüler:innen. Mit diesen Beobachtungen sind die Chemnitzer:innen nicht allein. Im Rahmen einer aktuellen Studie bestätigen viele Lehrkräfte, dass sich Schüler:innen nach den pandemiebedingten Schulschließungen im Unterricht schlechter konzentrieren können und unruhiger sind (Quelle: Umfrage zu Verhaltensweisen von Schülern seit der Corona-Krise in Deutschland 2022, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1313752/umfrage/verhaltensweisen-von-schuelern-seit-der-corona-krise/).

 Und so müssen im Schulkontext nicht nur gegenseitige Rücksichtnahme, sondern auch Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit als wichtige Kompetenzen für die Bewältigung sozialer Situationen gelernt werden. Aus diesem Grund wird im Soziale-Kompetenz-Angebot in Chemnitz auch die Beobachtungsfähigkeit geübt: Dazu bilden Lilli, Linus, Paul und die beiden Pädagoginnen einen Stuhlkreis und geben reihum ein Buch an die nebensitzende Person weiter; mal geschlossen, mal geöffnet und auf unterschiedlichen Seiten aufgeschlagen. Die Kinder folgen dem Buch gespannt mit ihren Augen und erzählen anschließend, was ihnen aufgefallen ist: „Das Buch war immer abwechselnd auf und zu“, ist die beliebteste Interpretation. Doch weil alle so fokussiert auf das Buch und seine verschiedenen Zustände waren, ist niemandem die Körpersprache von Frau Brockhoff und Frau Perelmann aufgefallen. „Immer wenn wir das Buch geschlossen haben, haben wir unsere Beine gekreuzt“, löst die Schulsozialarbeiterin schließlich auf. Aha-Effekt bei den Kindern. Zum aufmerksamen Wahrnehmen von Situationen gehört also mehr als das scheinbar Offensichtliche, vor allem die Körpersprache verrät eine Menge über den Gemütszustand einer Person und hilft dabei, soziale Situationen richtig einzuschätzen.

Schnupperkarla und Schnupperkarl

Teil des Themenspektrums soziale Kompetenz ist auch das Erkennen von Bedürfnissen und Gefühlen, sowohl der eigenen als auch die der Menschen im direkten Umfeld, um entsprechend darauf zu reagieren. Diese Fähigkeit ist so komplex, vielschichtig und diffus, dass selbst Erwachsene oft ihre Probleme damit haben. Umso wichtiger daher, bereits im Kindesalter ein Verständnis dafür zu schaffen, dass Menschen unterschiedliche Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Bedürfnissen haben. Die Schüler:innen der Albert-Einstein-Grundschule lernen dies mithilfe der Kängurus Schnupperkarl und Schnupperkarla.

Ersterer ist sehr aktiv und springt viel umher, wohingegen Karla zurückgezogen und ruhig ist. Anhand der Beschreibung der jeweiligen Persönlichkeiten müssen die Kinder einen „Futterplan“ ausfüllen und entscheiden, was die beiden gerade am meisten brauchen. „Schnupperkarl braucht Ruhe, Futter und Kraft, damit er Energie hat, um umherzuspringen“, sind sie sich einig. Sein weibliches Pendant hingegen benötigt Mut und Kraft, um mehr aus sich herauszukommen. Jede Woche lernen sie ein neues Känguru mit einer anderen Persönlichkeit kennen, insgesamt 25 über den gesamten Zeitraum des Projektes. „Die Kinder sollen sich mit den Kängurus identifizieren und dadurch lernen, wie sie richtig mit ihren Bedürfnissen umgehen können“, erklärt Ellina Perelmann das pädagogische Konzept.

Am Ende der gemeinsamen Dreiviertelstunde reflektieren die Kinder darüber, wie sie heute mitgearbeitet haben und was ihnen besonders gefallen hat. „Auch wenn der Aufbau von neuen Verhaltensweisen und Fähigkeiten Zeit braucht, können wir schon erste Entwicklungen bei den Schüler:innen beobachten“, evaluiert Berenike Brockhoff. Das Zusatzangebot konnte dank der Mittel des „Aufholen nach Corona“-Projektes ins Leben gerufen werden und soll auch nach Ende der Projektlaufzeit weitergehen. Denn vor allem Wiederholung und das regelmäßige Zusammenkommen schaffe Vertrauen bei den Kindern und helfe ihnen so bei der langfristigen Verstetigung ihrer sozialen Fähigkeiten.

Was ist „Aufholen nach Corona“?

Über zwei Jahre lang litten vor allem die Jüngsten unserer Gesellschaft unter den pandemiebedingten Einschränkungen. Im Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ des Familienministeriums werden sie beim Aufholen von Lernrückständen und ihrem Weg zurück zu einem unbeschwerten Aufwachsen unterstützt.

Alle Fotos: ÖGrafik

Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf  der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Logo Freistaat Sachsen

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Ein Filzherz steckt in einem Blumentopf

Die AWO-Stiftung-Dresden

Die „AWO-Stiftung-Dresden“ des Kreisverbandes der Arbeiterwohlfahrt hilft mit Ihrer Spende sozialen Projekten und bedürftigen Menschen in Dresden und Umgebung.