Wir haben nachgefragt bei drei engagierten Schulsozialarbeiterinnen aus Freital und Dippoldiswalde.
Diana Meltzer arbeitet am Weißeritzgymnasium in Freital, Stefanie Wittmann an der Wilhelmine-Reichard-Schule Freital mit Schwerpunkt Lernförderung und Sandra Kleiner an der Oberschule am Pfortenberg in Dippoldiswalde.
Was kann man sich unter Schulsozialarbeit genau vorstellen? Worin bestehen Ihre Aufgaben, was sind die Ziele?
Frau Wittmann: Wir sind Ansprechpartner:innen für die Schüler:innen und Eltern und fungieren für die Schule als Bindeglied zur Jugendhilfe. Der gesetzliche Auftrag ist es, die soziale Benachteiligung auszugleichen. Die Aufgaben umfassen die Präventionsarbeit, Elternarbeit und Netzwerkarbeit, das Schulleben mitgestalten, Einzelfallarbeit aber auch die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung – also Selbstständigkeit fördern und Freizeitangebote schaffen. Das Besondere ist das Prinzip der Freiwilligkeit. Keiner muss, jeder kann. Zudem gilt bei uns die Schweigepflicht. Und wir können als Schulsozialarbeiter:innen die Ziele selber festlegen und gestalten.
Wie kann man sich diese Gestaltung vorstellen? Klopfen die Schüler:innen an Ihre Tür? Gehen Sie aktiv in die Klassen rein oder machen Angebote im Hort?
Frau Wittmann: Genau, das alles. Wir sind in den Pausen für die Schüler:innen da. Sie können jederzeit anklopfen. Wir sind für die Lehrer:innen da, wenn etwas auffällig ist, um zu beraten und zu unterstützen und reden mit den auffälligen Kindern oder sind bei Elterngesprächen mit dabei. Präventionsarbeit bedeutet dann, in die Klasse reinzugehen und bestimmte Themen wie Mobbing oder Sucht präventiv zu bearbeiten. Oder auch Themen wie Klassenklima oder Stressbewältigung – es gibt da eine Vielfalt in der sozialen Gruppenarbeit und mitunter holt man sich auch Netzwerkpartner:innen mit dazu. Netzwerkarbeit ist wichtig, auch um zu zeigen: Wie kann ich helfen, auch wenn ich selber das jetzt gerade nicht lösen kann? Und in den Pausen sind wir natürlich präsent.
Frau Meltzer: Im Endeffekt entscheidet auch der Bedarf, den die Schule anmeldet. Wenn ich ein Thema sehe, z.B. Stress, dann kann ich das anbieten und dann kann der Lehrer sagen: Ja, das ist gut, das kannst du bei mir in der Klasse mal machen. Oder der Lehrer selber sieht den Bedarf zum Beispiel in Richtung Gewaltprävention und kann kommen und fragen: Haben wir da was? Dann schaut man, was man selber umsetzen kann und wo muss man sich externe Partner dazu holen. Und das ist dieses Individuelle, was eben an jeder Schule ein bisschen anders läuft.
Frau Wittmann: Also wir haben die Themen, die wir bearbeiten müssen und sollen und schauen dann: Was ist je nach Schulform möglich und wie kann man das bedienen? Wie viel Unterrichtszeit bekomme ich dafür?
Wie viel Unterrichtszeit ist das dann so?
Frau Meltzer: Also bei mir am Gymnasium bin ich froh, wenn ich zum Thema Mobbing mal eine Doppelstunde bekomme, weil da muss ja irgendwas anderes dafür weggenommen werden.
Frau Wittmann: In der Förderschule ist es ein bisschen einfacher reinzukommen. Wir haben zwar auch einen Lehrplan, aber da stehen die sozialen Themen schon mehr im Vordergrund, u.a. im Ethikunterricht. Da habe ich mehr Zeit und Projekte, wie z.B. die Vermeidung früher Schwangerschaften. Das ist eher Thema bei mir an der Schule, weil die Perspektiven oftmals fehlen nach dem Schulabschluss.
Frau Kleiner: In der Oberschule ist es manchmal einfacher, ganze Projekttage zu machen, weil die Kinder erstmal reinkommen müssen. Und wenn man das zwischen Mathe- und Deutschunterricht dazwischen quetscht, dann fruchtet das manchmal nicht. Da funktionieren Ein- oder Zweitagesprojekte, für die dann der ganze Unterricht ausfällt, besser. Die Projekte sind spezifisch und ausgewählt, das klappt bei mir ganz gut.
Frau Wittmann: Für mich macht es eher Sinn, wirklich wöchentlich eine Unterrichtsstunde zu machen, weil ich merke, wenn Ferien sind, sind die raus, da muss man dranbleiben. Diese Kontinuierlichkeit ist in der Förderschule wichtig.
Frau Meltzer: Und die Klassenlehrer sind zum Großteil immer mit dabei, damit sie wissen, was mit den Schüler:innen besprochen wurde und worauf sie dann noch mal zurückgreifen könnten.
Die Arbeit unterscheidet sich also auch sehr darin, wie viele Kinder Sie in welcher Schulform als Schulsozialarbeiter:innen unter einem Hut haben?
Frau Kleiner: An der Förderschule sind es aktuell 240 Schüler:innen. Bei mir an der Oberschule 370 Schüler:innen und im Gymansium über 1.000 Schüler:innen.
Für eine Person?
Frau Kleiner: Es kommen natürlich nicht alle, also bei weitem nicht. Aber jeder kann zu uns kommen. Da hängen dann auch oft noch Eltern dran oder Lehrer:innen, die Gespräche benötigen. Und ja, das ist schon am Ende des Tages ganz schön viel, was man an Kontakt hat.
Kann man da eine ungefähre Aussage treffen, wie viele Stunden Zeitaufwand dranhängen, wenn eine Schüler:in mit einem Problem kommt?
Frau Meltzer: Sehr unterschiedlich. Also das kann manchmal nur das eine Gespräch sein. Das kommt darauf an, was die Schüler:innen für Probleme mitbringen. Das kann manchmal ein Fall sein, der mich das ganze Schuljahr über beschäftigt hat, weil es um eine Verhaltensänderung geht oder eine Motivation zu schaffen für die Schule. Und es verschiedene externe Partner:innen braucht. Ich würde mir nicht trauen, eine Durchschnittszahl zu nennen. Man sieht einer Beratung nicht an, wie viel Arbeit im Nachgang noch dahintersteckt mit Elterngesprächen, Lehrergesprächen, Dokumentation, Reflexion, Fachberatung und natürlich der direkte Kontakt zu den Schüler:innen selbst.
Also zu jedem Gespräch muss dann sozusagen auch ein Bericht geschrieben werden?
Frau Meltzer: Nein. Es geht darum, für uns zu dokumentieren, worüber habe ich eigentlich gesprochen? Was habe ich vielleicht an Hinweisen gegeben, dass ich an dem Fall auch dranbleibe, zur Erinnerung tatsächlich.
Frau Wittmann: Es gibt auch Fälle, wo man wirklich dokumentieren muss, wo man dann vielleicht auch noch mal einen Schritt weitergehen oder mit Netzwerkpartnern zusammenarbeiten muss.
Frau Meltzer: Wenn es um das Thema Verdacht auf Kindeswohlgefährdung oder Kinderschutz geht, müssen wir natürlich gut dokumentieren. Da braucht es auch viel Beratung.
Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit Lehrer:innen, Eltern und Kindern vorstellen?
Frau Kleiner: Grundsätzlich braucht es unbedingt eine gute Zusammenarbeit mit der Schule, damit Schulsozialarbeit überhaupt gelingen kann. Wenn das nicht gegeben ist, sind wir mehr oder weniger auf verlorenem Posten. Die Zusammenarbeit mit Eltern und Lehrer:innen gestaltet sich sehr unterschiedlich. Es gibt Eltern, die sehr gerne kommen, die Hinweise annehmen können und die auch von sich aus den Kontakt suchen. Dann gibt es Eltern, die kommen, weil sie denken, sie müssen das tun. Und es gibt auch Eltern, die aus unterschiedlichsten Gründen gar keinen Kontakt haben wollen. Und für Eltern und Lehrer:innen gilt natürlich das gleiche Prinzip der Freiwilligkeit und auch Schweigepflicht.
Und wenn jetzt der Fall eintritt, dass es ein Problem mit dem Kind gibt, bei dem es sinnvoll wäre, die Eltern einzubinden und die lehnen das ab?
Frau Meltzer: Dranbleiben!
Frau Wittmann: Genau. Dafür gibt es einen Leitfaden, wie Besprechungen, Dokumentation etc. ablaufen, der zeigen soll: Was habe ich getan, bin ich am Kind drangeblieben? Damit kann man weitermachen und die Kinder merken, da ist jemand Vertrautes und ein Ruhepol in der Schule.
Frau Meltzer: Und es braucht viel Geduld von uns, tatsächlich dran zu bleiben und gute Kommunikationsfähigkeit, dann doch irgendwie in den Kontakt mit den Eltern zu kommen.
Gibt es auch Fälle, wo man von der Schulleitung oder von der Lehrerschaft der Sache eher ablehnend gegenübersteht?
Frau Kleiner: Es gibt durchaus Lehrer, die es für sich selbst schaffen möchten, die uns nicht als Unterstützung reinholen wollen. Und das ist okay.
Aber Sie würden jetzt persönlich von sich sagen, dass eigentlich die Akzeptanz in den überwiegenden Fällen gut ist.
Übereinstimmend: Ja.
Wie wird Ihre Arbeit innerhalb der Schule kommuniziert? Wenn die Kinder und Eltern freiwillig kommen, dann wissen sie ja offensichtlich ganz gut Bescheid.
Frau Kleiner: Also ich gehe immer direkt zum Elternabend hin und zeige mich den Eltern, erkläre, was ich tue und wie sie mich erreichen können.
Frau Meltzer: Ich stelle mich auch zum Elternabend vor und gehe von Klasse zu Klasse. Man ist zum Elternsprechtag da und man hat zumindest auch einen Infotag. Und wenn man ins Schulhaus reinkommt, gibt es eine Infotafel, sodass man im Blick hat: Da gibt es jemanden und der ist erreichbar.
Frau Wittmann: Ich gehe auch zum Elternabend, aber nicht von Klasse zu Klasse, weil das alles zeitgleich stattfindet. Stattdessen schenke ich gemeinsam mit den Kindern alkoholfreie Cocktails aus, zeige mich so präsent und gebe den Eltern gleich einen Flyer mit von mir, was ich mache, wie man mich erreichen kann. Und jedes neue Kind kriegt so eine Infomappe bei uns. Und wenn eine Präventionsveranstaltung stattfindet, gibt es einen Elternbrief. Und wenn ich in der Klasse ein Projekt geplant habe, sagen die Lehrer:innen im Elternabend auch etwas dazu. Damit die Eltern informiert sind: Wer kommt da überhaupt? Auf der Homepage steht es auch.
Mit welchen Themen kommen die Kinder zu Ihnen? Was sind da so die drängendsten Fragen?
Frau Meltzer: Also unter anderem geht es um Konfliktklärungen unter den Mitschüler:innen oder auch Konflikte mit den Lehrer:innen. Das müssen sie auch mal irgendwo rauslassen dürfen und dann sucht man oftmals das Gespräch zusammen. Das zweite sind Probleme, die die Kinder zu Hause haben, alles, was sie beschäftigt, was ihnen Sorgen macht. Das können Trennung und Scheidung sein, kritische Lebensereignisse, wie Krankheit zum Beispiel, Streit zuhause, Geschwisterrivalitäten, alles, was sie gedanklich vom Unterricht ablenkt. Wo sie einmal jemanden brauchen, der Zeit hat, der zuhört. Die Kinder kommen mit allem zu uns, was psychisch belastende Situation sind, zum Beispiel Schulstress, Freundschaften, Zugehörigkeit zur Peergroup, da spielen auch Selbstwert und Selbstvertrauen eine Rolle. Wie komme ich an? Was kann ich tun? Dazu kommen die Themen Liebe, Sexualität, sexuelle Identität, selbstverletzendes Verhalten und alles, was sie sonst so beschäftigt aus ihrer Lebenswelt und aus der Freizeit. „Na, wie war Silvester und das Windbergfest?“ Das sind typische Tür-und-Angel Gespräche, nicht die großen Beratungen, aber auch das lassen sie bei uns. Schulabstinenz ist auf jeden Fall ein Thema. Damit kommen zwar selten die Kinder von alleine, sondern eher Eltern, Lehrer:innen und die Schule. Aber man hat ja zu dem Thema dann auch mit den Kindern zu tun, wenn sie sagen: Okay, das ist ein Thema, da will ich ran und da will ich gerne, dass sich was ändert und dass ich Unterstützung bekomme.
Zum Thema Zugehörigkeit und Peergroup: Was ist mit Social Media etc. – da hört man ja auch öfter von Mobbing im Klassenchat oder peinlichen Bildern, die online gestellt werden.
Übereinstimmend: Das ist ein Thema.
Frau Wittmann: Ja, sowohl von den Schüler:innen wie auch von der Schule und den Eltern. Das sind dann Fragen z.B. kann das Foto geteilt werden oder nicht? Wie man mit Medien umgeht, ist auf jeden Fall ein Thema.
Gibt es etwas, was Sie sich wünschen würden, wie Sie Ihre Arbeit noch besser machen könnten, welche Rahmenbedingungen Ihnen die Arbeit erleichtern würden?
Frau Meltzer: Mehr Personal wäre wünschenswert – mindestens zwei Schulsozialarbeiter:innen in jeder Schule, damit man den Gesprächsbedarf, den man täglich hat, gut bewältigen kann und im besten Fall auch paritätisch besetzt. Aber das ist ein Blick in die Zukunft. Eine verlässliche technische Ausstattung ist im Moment größtenteils bei uns gegeben. Bei mir am Gymnasium schon länger, an anderen Schulen erst seit kurzem. Also die Fragen: Habe ich einen Telefonanschluss, der nicht über das Sekretariat läuft? Habe ich ein funktionierendes Internet, einen Laptop? Mehr Lobbyarbeit für das Arbeitsfeld wäre gut. Vielen ist gar nicht bewusst, was eigentlich geleistet wird, wie breit dieses Arbeitsfeld ist, wie multiprofessionell wir unterwegs sind, wie wir netzwerken müssen und wie wir neben den Einzelfällen auch die präventive Arbeit im Blick behalten. Das muss zeitlich alles muss gut gemanagt werden. Geld ist auch immer ein Thema. Manchmal steht Geld zur Verfügung, aber es fehlen einfach die zeitlichen oder die personellen Ressourcen, den entsprechenden Antrag abzurufen oder zu stellen. Manchmal fehlt auch Wissen. Aber auch für Wissen braucht man Zeitressourcen, um Drittmittel zu akquirieren.
Bildungsbenachteiligungen auszugleichen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Da braucht es aus meiner Sicht eine grundlegende Änderung des Schulsystems und Schulsozialarbeit ist da nur ein sehr kleines Rad.
Frau Wittmann: Aber was wir tun können, ist gezielte Unterstützung und Förderung geben und Verständnis aufbringen für die Probleme der Kinder. Das hilft auch schon manchmal.
Frau Meltzer: Ja und überhaupt das Verständnis dafür zu wecken, dass Schüler:innen, die nicht so viel Unterstützung zu Hause bekommen, sehr viel selbstständiger sein müssen oder mehr leisten müssen, als sie eigentlich leisten können.
Frau Wittmann: Gerade bei uns kam es oft vor, dass während der Schließungen nicht so viel Unterstützung zu Hause geleistet wurde und dadurch große Lücken entstanden, die schwierig zu füllen sind. Bei uns ist ja der Vorteil, dass wir an der Schule sehr differenziert arbeiten können, aber irgendwann hat das auch seine Grenzen.
Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an Ihrer Arbeit? Warum sollte man sich als junger Mensch für diesen Berufsweg entscheiden?
Frau Kleiner: Es ist ein sehr vielseitiges Arbeitsfeld. Jeder Tag ist super spannend und abwechslungsreich. Man weiß nicht, wenn man morgens die Tür aufmacht, was passieren wird und man kann sich sehr viel ausprobieren, sehr viel von sich geben, das Schulleben mit- und lebendiger gestalten. Man ist sehr selbstständig in seiner Arbeit. Und die Freiwilligkeit spielt uns auch sehr in die Karten, weil die Schüler:innen nicht als „Strafe“ zu uns zu kommen müssen, sondern sie dürfen zu uns kommen, wenn sie das möchten. Das macht natürlich auch den Kontakt ganz anders, vom ersten Moment an schon. Wir sind einfach die extra Person an der Schule, von der die Schüler:innen nicht bewertet werden. Wir haben ein offenes Ohr und die Kinder kommen gerne zu uns und sind dankbar. Und sie brauchen ihre Schulsozialarbeiter:innen. Das zeigen sie uns auch jeden Tag und das macht es absolut wertvoll. Wer Lust auf die Arbeit mit Kindern,Jugendlichen und Erwachsenen hat, sehr viel Kontakt mit sehr viel verschiedenen Menschen haben und sich ständig weiterentwickeln möchte, für den ist das ein absoluter Traumberuf.
Kurz und knackig in einem Satz: Was lieben Sie an Ihrem Beruf?
Frau Meltzer: Schulsozialarbeit ist unglaublich vielfältig und man kann sehr viel mitgestalten. Es ist ein sehr flexibles Arbeitsfeld.
Frau Kleiner: Ich liebe unterm Strich das Kinderlachen.
Frau Wittmann: Ich unterschreibe alle Punkte, die bis jetzt genannt worden und noch zusätzlich, dass es ein freiwilliges Angebot ist.
DANKE für das Interview!