Pflege findet nicht nur im Heim statt

Ein Beitrag zum Thema "Pflege findet nicht nur im Heim statt – sondern vor allem zu Hause" aus unserer aktuellen meeting-Ausgabe 1_2025.

Unterwegs mit dem ambulanten Pflegedienst der AWO in Chemnitz

Ambulante Pflegedienste ermöglichen es älteren Menschen, so lange wie möglich im eigenen Umfeld zu leben. Doch der Alltag in der ambulanten Pflege ist geprägt von steigender Nachfrage, Personalmangel und finanziellen Engpässen. Warum der Ausbau dieser Versorgungsform unerlässlich ist und was es braucht, damit sie zukunftsfähig bleibt, erklärt Katrin Uhlig, Fachberaterin Seniorenarbeit und Pflege der AWO Chemnitz.

Warum ist aus Ihrer Sicht der Ausbau der ambulanten Pflege ein zentraler Schlüssel für die Zukunft der Pflege?

Es ist uns wichtig das die älteren und pflegebedürftigen Menschen, so lange wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung und ihrem Zuhause bleiben können. Ein gut ausgebautes ambulantes Pflegesystem entlastet die stationären Pflegeeinrichtungen, was dazu führt, Engpässe in der Versorgung zu vermeiden. Durch ein gutes ambulantes Pflegesystem können teure stationäre Wohnformen vermieden werden.

Wie sieht ein typischer Tagesablauf einer ambulanten Pflegefachkraft aus?

Der Tagesablauf ist sehr abwechslungsreich und erfordert Flexibilität, Einfühlungsvermögen und Organisationstalent. Meist beginnt die Tour mit einem kurzen Überblick über die Tourenplanung und die Vorbereitung in der Sozialstation. Danach besucht die Pflegefachkraft die ersten Patienten und unterstützt bei der Körperpflege, beim An- und Auskleiden oder bei der Medikamentengabe. Es folgen weitere Hausbesuche, bei denen die Pflegefachkraft die medizinische Versorgung übernimmt. Sie versorgt Wunden, kontrolliert Vitalwerte, stellt Medikamente, bestellt Rezepte in der Arztpraxis, holt Rezepte in der Arztpraxis ab. Während der Tour dokumentiert die Pflegefachkraft alles genau auf ihrem Smartphone. Am Mittag unterstützt die Pflegefachkraft auch bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, bei der Beschäftigung oder Mobilisation. Am Ende der Tour wird das Auto aufgeräumt, einmal monatlich gereinigt und das Fahrtenbuch geführt. Im Schwesterzimmer werden alle wichtigen Dokumente – z.B. Originalrezepte, unterschriebene Leistungsnachweise, Verordnungen – an die Pflegedienstleitung weitergereicht, die im Laufe des Tages eingesammelt wurden.

Welche konkreten Herausforderungen erleben ambulante Pflegedienste aktuell im Alltag – z. B. im Hinblick auf Personal, Finanzierung oder Bürokratie?

In der Pflege haben wir einen hohen Dokumentationsaufwand, das bedeutet Pflegekräfte müssen eine umfangreiche Dokumentation erstellen, um die Pflegeleistungen nachweisen zu können. Diese umfasst z.B. Pflegeberichte, Pflegeplanung, Maßnahmenpläne oder Wunddokumentationen. Dieser Aufwand ist sehr zeitintensiv und nimmt oft mehr Zeit in Anspruch als die eigentliche Pflege. Änderungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie neue Pflegeleitlinien oder Abrechnungsleitlinien, erfordern ständige Anpassungen in den internen Prozessen. Das bedeutet zusätzlich Schulungs- und Anpassungsaufwand. Insgesamt führt die Bürokratie dazu, dass viel wertvolle Zeit und Ressourcen für administrative Aufgaben aufgewendet werden müssen, die eigentlich für die direkte Pflege und Betreuung der Patienten gedacht sind. Das belastet die Mitarbeitenden zusätzlich und erschwert eine effiziente Versorgung.

Wie wirkt sich der Fachkräftemangel auf die ambulante Pflege aus, und was bräuchte es aus Ihrer Sicht, um Pflegekräfte zu halten und zu gewinnen?

Wenn es nicht genügend qualifizierte Pflegekräfte gibt , können die Pflegedienste auch keine neuen Patienten aufnehmen. Oftmals müssen Anfragen aus der Überleitung vom Krankenhaus abgelehnt werden, da die Kapazitäten des Pflegedienstes schon überschritten sind.

Es braucht eine Verbesserung der gesellschaftlichen Wahrnehmung.

Eine stärkere Wertschätzung der Pflegearbeit in der Gesellschaft und in den Medien kann das Image des Berufs verbessern und mehr Menschen dazu motivieren, diesen Beruf zu ergreifen. Eine Unterstützung durch die Politik durch finanzielle Förderungen z.B. zum Erwerb des Führerscheins und Investitionen in die Pflegeinfrastruktur sind notwendig, um den Beruf attraktiver zu machen und den Fachkräftemangel langfristig zu bekämpfen.

Welche Rolle spielt die ambulante Pflege für ein selbstbestimmtes Leben älterer Menschen – und wie verändert sich der Bedarf in der Region?

Die ambulante Pflege spielt eine wichtige Rolle für ein selbstbestimmtes Leben älterer Menschen in Chemnitz. Sie ermöglicht es den Betroffenen, so lange wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben und ihre Unabhängigkeit zu bewahren. In Chemnitz, einer Stadt mit einer vielfältigen älteren Bevölkerung, ist die ambulante Pflege somit ein entscheidender Faktor, um den Menschen ein würdevolles, selbstbestimmtes Leben im eigenen Zuhause zu ermöglichen. Durch die immer weiter steigenden Kosten in den Pflegeheimen, steigen die Anfragen in den ambulanten Pflegediensten stark an. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr barrierefreie Wohnungen, in denen die Menschen viel länger daheim leben können.

Was müsste politisch oder gesellschaftlich passieren, damit die ambulante Pflege nicht nur erhalten, sondern zukunftsfest weiterentwickelt werden kann?

Wir müssen aus dem „Schubladensystem“ raus. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn die Leistungen nicht mehr nach einem Leistungskatalog und dadurch starren Strukturen festgelegt wären, sondern die ambulante Pflege nach Zeit vergütet werden würde. Das bedeutet, dass die Leistungen für die tatsächlich geleistete Zeit bezahlt werden, unabhängig von den einzelnen Tätigkeiten. Oftmals reichen aktuell die Leistungskomplexe für eine individuelle Hilfe nicht aus.

Vorteile dieser Abrechnungsart sind zum einen die Transparenz: Die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen können genau nachvollziehen, wie viel Zeit für die Pflege aufgewendet wurde. Weiterhin führt die Art der Abrechnung zu mehr Flexibilität: Die Pflege kann individuell an die Bedürfnisse angepasst werden, da keine festen Leistungspakete vorgegeben sind. Zudem kann die Abrechnung unvorhergesehenen Situationen oder kurzfristigen Änderungen kann die Pflege schnell und unkompliziert angepasst werden.

Liebe Frau Uhlig, wir danken für das Gespräch!

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