Sie beschreiben und bestimmen die Kultur und damit die Art und Weise, wie die Tagesabläufe strukturiert und die Räumlichkeiten gestaltet sind, welches Pflege- und welches Qualitätsmanagementsystem angewandt werden, die inhaltliche Ausgestaltung der sozialen Betreuung, die Anforderungen an die Mitarbeitenden und ihre Fort- und Weiterbildung usw.
Um aber dieser zentralen Bedeutung gerecht zu werden, praxistauglich und anwendbar zu sein, müssen die Konzeptionen in all ihren Abschnitten die Krankheitsbilder der Pflegebedürftigen, ihre Symptome und Bedürfnisse im Blick haben.
Bei demenziell und psychisch erkrankten Menschen müssen die Konzepte davon ausgehen, dass deren Lebenswelten von den Lebenswelten kognitiv nicht beeinträchtigter Menschen verrückt, fortgerückt und verschoben sind.
Das heißt beispielsweise, dass demenziell erkrankte Menschen in eine Lebenswelt eintauchen, die sich als psychobiografisch bestimmte Eigenwelt ihrer Altbiografien darstellt. Sie sind nicht mehr in der Lage, unsere reale Lebenswelt zu verstehen und zu kommunizieren. Auch sind sie unfähig zur geteilten Aufmerksamkeit; also all die kommunizierten Reizgefüge von gesprochenem Wort, Tonfall, Sprechtempo, Gestik, Mimik usw. gleichzeitig und angemessen zu verarbeiten.
Insofern werden in der Beziehungs-, Versorgungs-und Milieukultur personzentrierte psychobiografische Arbeit, Validation und Milieutherapie bestimmend.
Die Mitarbeiter:innen müssen willens und in der Lage sein, sich in die Perspektive dieser von uns verrückten Lebenswelten hineinzuversetzen, diese ernst zu nehmen und wertzuschätzen sowie deren Eigenständigkeit und Legitimität zu respektieren.
Das heißt beispielsweise auch, dass die innere Strukturierung bei demenziell erkrankten Menschen verloren geht.
In meiner Zeit als Leiter des AWO Gerontoppsychiatrischen Pflegeheimes „Marie Juchacz“ überwog der Ansatz, dass diese Pflegebedürftigen Ersatzstrukturen benötigen, welche ihnen von außen vorgegeben werden und den inneren Verlust ausgleichen sollen. So hatten wir gemäß unseres Pflege- und Betreuungskonzeptes wochen- und tagesstrukturierte Betreuungsangebote gehabt. Sie waren zwar psychobiografisch orientiert, trotzdem als Gruppenvorschläge angeboten gewesen; erzählt im Bereich Einrichtungen unseres Blogs.
Im Bereich „Tipps & Links“ sind folgende Links zu finden mit anderen Ansätzen und demzufolge anderen Pflege- und Betreuungskonzeptionen:
- „Das Alzheimer Dorf – Erfolgversprechendes Modellprojekt“;
- „Frischer Wind im Pflegeheim“;
- „Das Pflegeheim, in dem Menschen gern leben“;
- „Willkommen in der Gammel Oase – Was dieses Heim für Menschen mit Demenz anders macht“.
Mittels analytischer Pro und Contra – Diskussion zum Thema „Alternative Pflege- und Betreuungskonzepte“ könnte mit diesen unterschiedlichen Ansätzen eine Optimierung der eigenen Konzeption angestoßen werden.
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Fester Bestandteil jeder Pflege- und Betreuungskonzeption sind die jeweiligen Anforderungen an die Mitarbeiter:innen.
In unserem Falle müssen sie in der Lage sein, die anvertrauten gerontopsychiatrisch veränderten Pflegebedürftigen respektvoll immer dort abzuholen, wo sie sich in ihren Lebenswelten gerade befinden. Egal, wie weit diese von unseren sogenannten normalen Lebenswelten entfernt sind.
So,
– wenn der langjährige Ehepartner nicht erkannt und mit der verstorbenen Tante / Onkel gleichgesetzt wird;
– wenn Tochter oder Sohn nicht erkannt wird, da in der demenziellen Lebenswelt noch ein Kind;
– wenn bei Kinderlosigkeit ein Gegenstand als eigenes Kind betrachtet wird.
Nicht jedem ist die Fähigkeit zu einem derart gravierenden Perspektivwechsel in die Wiege gelegt und von Natur gegeben.
Erforderliche Denk- und Verhaltensweisen sind aber erlernbar.
Um diesen Perspektivwechsel zu lernen, kann hilfreich sein, einmal unsere „normalen“ Lebenswelten in eine entfremdete Perspektive zu stellen, um dadurch Zugang zu gerontopsychiatrischen Lebenswelten zu finden.
In Anwendung der Methoden Selbstdistanzierung und Fremderfahrung geht es darum, das,, was das Eigene ist als fremd und psychopathologisch, und das, was das eigentlich Fremde ist, als normal und das Eigene zu reflektieren.
In den gerontopsychiatrischen Lebenswelten gibt es weder Machtstreben und Intrigen noch Arroganz, Ignoranz und überbordendes Selbstbewusstsein, Neid und Gier oder üble Nachrede und böswillige Verleumdung.
Fester Bestandteil jeder Pflege- und Betreuungskonzeption für demenziell erkrankte Pflegebedürftige sollte die Kultur sein, welche der Beziehungs-, Versorgungs- und Milieugestaltung zugrunde liegt.
Diese Kultur möchte ich unterscheiden in die Zeit vor dem Person – zentrierten Ansatz von Tom Kitwood und die Zeit danach.
In der Zeit vor Tom Kitwood wurde der Ansatz vertreten, dass die Pflege demenziell erkrankter Menschen die Aufgabe habe, sich um den noch lebenden Körper zu kümmern und eine professionelle Pflege zu garantieren.
Damit erfolgten die Beziehungen zwischen Pflegenden und Gepflegten im ICH – ES – Modus als somatisch geprägte Funktionspflege. Die Pflegebedürftigen wurden auf Objekte pflegefunktionaler Arbeiten reduziert.
Aber ebenso wie der Begriff hirnorganisches Psychosyndrom nicht mehr verwendet wird, weil Demenz inzwischen differenzierter diagnostizierbar ist, gibt es im Umgang mit den Betroffenen eine neue Kultur.
Zu ihrer Herausbildung leistete Tom Kitwood mit seinem Person – zentrierten Ansatz einen maßgeblichen Anteil.
Als Psychologe stellte er die Frage, ob mit den neurodegenerativen Prozessen wirklich nur medizinisch umgegangen werden soll und der Pflege allein die Bestimmung zukommt, pflegefunktionale Aufgaben im ICH – ES – Modus zu erledigen?
In den Mittelpunkt seines Ansatzes stellte er die Wechselbeziehungen zwischen neurodegenerativen Prozessen und einer positiven Personzentrierung.
Damit definierte er die Kultur demenzieller Pflege völlig neu.
Die entscheidende Aussage seines Ansatzes war, dass es in der Pflege Demenzkranker um ihr Personensein geht.
Kitwood forderte, Orte zu schaffen, in denen auch Menschen mit Demenz sich selbst als Person und als handelndes Subjekt erfahren können.
Kitwood forderte, dass die Einzigartigkeit und Würde ihrer Persönlichkeit zentral bleiben müssen.
Kitwood forderte, dass nicht ihre Defizite im Mittelpunkt stehen dürfen, sondern die Förderung der noch vorhandenen Ressourcen.
Um diesen Person – zentrierten Ansatz gruppieren sich Konzepte, welche aus unterschiedlichen Perspektiven heraus Wege zum personzentrierten Umgang mit demenziell erkrankten Pflegebedürftigen aufzeigen, so beispielsweise
– das psychobiografische Pflegemodell nach Erwin Böhm;
– die Validation nach Naomi Feil und nach Nicole Richard:
– das mäeutische Pflegekonzept nach Cora van der Kooij.
Am augenscheinlichsten stellt sich der Kulturwandel in der demenziellen Pflege als Wechsel von der Beziehungsgestaltung im ICH – ES – Modus hin zur Anerkennung als selbstbestimmt handelnde Personen sowie hin zur Mobilisierung und Stärkung der noch vorhandenen Ressourcen dar.
Es schließt sich die Frage an, ob der Kulturbegriff hierbei überhaupt Anwendung finden darf?
Kultur geht immer vom Menschen aus, der eigentlich ein Naturwesen ist – natürlich und sterblich..
Statt tierischer Instinkte sind Menschen allerdings Anlagen eigen, welche Sprache, kognitive Leistungen, Vernunft Moral und Selbstreflexion ermöglichen.
So sind sie mit der moralischen Fähigkeit zum sogenannten „Kategorischen Imperativ“ Immanuel Kants ausgestattet, der sinngemäß heißt: „Alles, was Du tust, tue so, dass es ein allgemein menschliches Gesetz sein könnte“.
Gerade diese Entscheidungs- und Handlungsfreiheit auf moralischer Grundlage macht Menschen zum Kulturwesen.
Sie verhilft, die Beziehungen des Menschen zu sich selbst, zu anderen Menschen und zur räumlichen Natur kulturvoll gestalten zu können.
Von ganz besonderer Bedeutung ist diese Fähigkeit im Umgang mit demenziell und psychisch kranken alten Menschen. Gerade sie haben Defizite, welche sie in eigenen Welten, quasi Welten für sich, leben lässt. Diese laden zu Willkür, Bevormundung und Stigmatisierung förmlich ein.
Im Umgang mit ihnen muss aber eine Beziehungs-, Versorgungs- und Milieukultur gelebt werden, die das Gefühl vermittelt, Teil derselben Welt zu sein.
Will heißen: Seine Würde behält oder verliert der Mensch nicht durch seine gerontopsychiatrische Erkrankung, sondern durch das Verhalten seines sozialen Umfeldes.
Fester Bestandteil jedes Pflege- und Betreuungskonzeptes muss das Qualitätsmanagementsystem der Einrichtung sein.
Ende der 1990er Jahre hatte der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt das AWO – QM – Tandem – Modell beschlossen.
Es sollte die Qualitätsforderungen der DIN EN ISO 9001 mit den spezifischen AWO – Qualitätskriterien verknüpfen, die sich für die Geschäftsfelder aus dem Leitbild der AWO ergeben.
Mittels sogenannter Tandem – Zertifizierungen durch TÜV- und AWO – Auditoren sollten beiderlei Qualitätsanforderungen sichergestellt werden.
Dazu wurden an der AWO Bundesakademie durch den RWTÜV TÜV – CERT – Qualitätsauditoren der Arbeiterwohlfahrt ausgebildet.
Der erste Lehrgang schloss im Jahre 1999 ab. Die Teilnehmenden waren von ihren Landesverbänden delegiert gewesen; mit mir noch eine Teilnehmerin aus den neuen Bundesländern.
Der erste Lehrgang beinhaltete die ISO 9001:1987, welche noch 20 Elemente zum Inhalt hatte.
Die ISO 9001 war die damals international anerkannte Norm, um in allen Unternehmensbereichen anhand der Qualitätsmanagementsysteme die Gewährleistung gleichbleibender Qualität sicherzustellen und in externen Audits regelmäßig nachzuweissen.
Die ISO 9001 war auf Grund von Notwendigkeiten in der Industrie wie der just in time Produktion mit zahlreichen Zulieferern erforderlich geworden.
Ihre Philosophie bestand im Prinzip der ständigen Verbesserung. Demzufolge bildete der PDCA – Kreislauf ihr Kernstück.
Zu dieser Zeit war die Anwendung der ISO 9001 alternativlos trotz ihrer Industrielastigkeit.
Erst später etablierten sich spezielle externe Qualitätsmodelle, welche die sozialen Prozesse in unseren Geschäftsfeldern wirklichkeitsgetreu abbilden und den PDCA – Kreislauf der Pflicht zur ständigen Verbesserung nicht zum Inhalt haben.
Korrektur:
Im ersten Lehrgang zum Qualitätsauditor der Arbeiterwohlfahrt nach EOQ hatte der Schwerpunkt auf der DIN EN ISO 9001 : 1994 gelegen und nicht auf ihrer Vorgängerin als Norm für Qualitätsmanagementsysteme, der ISO 9001 : 1987.