Hibas* Geschichte

Im Rahmen eines Angebotes der AWO lernt die Landesfachstelle Interkulturelle Öffnung und Diversität (LFS IKÖD) der AWO Sachsen Hiba, 41 Jahre alt, kennen.

Eine Frau auf einem Balkon blickt nachdenklich auf den Horizont

Hiba ist in Sachsen geboren, in Syrien aufgewachsen und vor sechs Jahren im Zuge des Bürgerkrieges nach Deutschland zurückgekehrt. Sie lebt heute mit ihrem Mann in einer mittelgroßen Stadt in Sachsen. Hiba hat 21 Jahre in Syrien im Außenministerium gearbeitet, hat mehr als 30 Länder berufsbedingt bereist, spricht neben Arabisch und Englisch gut verständliches Deutsch und ist, seit sie in Deutschland lebt, ohne Arbeit. Wir wollen mehr über Hiba erfahren und besuchen sie.

* Zur Wahrung der Anonymität haben wir den Namen von Hiba geändert

Eine Familie mitten im Leben

Illustration von zwei Menschen, die Kaffee am Tisch trinkenAuf ihre Familie ist Hiba sehr stolz. Ihr aus Syrien stammender Vater studierte in den 1960er-Jahren Maschinenbau in Deutschland. Hier arbeitete er und lebte gemeinsam mit seiner Familie, seiner Frau, Hiba und deren fünf Geschwistern. Als kleines Kind kehrte Hiba mit ihrer Familie zurück nach Syrien.

Ihre fünf Geschwister haben alle studiert und arbeiten verteilt auf der ganzen Welt in verschiedenen Branchen. Ihr Vater ist bis heute eng mit Deutschland verbunden – gemeinsam mit Hibas Bruder pflegt er Geschäftsbeziehungen zwischen Syrien und Deutschland.

Hiba selbst ist gelernte Elektro-Ingenieursassistentin. Gleich nach ihrer Ausbildung konnte sie sich nach einem einjährigen Bewerbungsverfahren behaupten und bekam eine Anstellung im syrischen Außenministerium, wo sie 21 Jahre in der Kommunikations- und Elektroabteilung arbeitete. Sie arbeitete im Archiv, war lange Zeit Datenerfasserin, leitete ein großes Lager für Elektronik und war darüber hinaus viele Jahre die Chefsekretärin der Kommunikationsabteilung. Aber am interessantesten, sagt sie, war die Kommunikation zwischen dem Ministerium und den weltweiten Botschaften. Hiba arbeitete während ihrer Zeit im Außenministerium in Botschaften in mehr als 30 Ländern.

Der Krieg bricht aus – und alles wird anderes

Nach dem Kriesgausbruch in Syrien kam Hiba mit Zustimmung der Bundesregierung im Rahmen eines Länderprogramms 2015 nach Deutschland. Mit dem ihr zugewiesenen Status durfte sie von Beginn an eine Arbeit aufnehmen. Und dann? Nichts. Hiba lebt seit sechs Jahren bei uns in Sachsen. Seither war es ihr – trotz all ihrer beruflichen Erfahrungen – nicht möglich, eine Anstellung zu finden. Nach unzähligen Bewerbungen als Datenerfasserin und für jegliche Tätigkeiten am Computer – innerhalb wie außerhalb Sachsens – hat Hiba bisher keinen Job gefunden. Nicht mal eine Antwort hat sie erhalten. Von keinem Unternehmen.

Illustration: zwei Menschen spielen FußballUnd Hiba weiß durch Bewerbungstrainings, wie man in Deutschland Bewerbungen schreibt. Einige Deutsche verweisen auf ihr Kopftuch und erklären ihr, dass manche Arbeitgebende hier niemanden mit Kopftuch arbeiten lassen wollen. Man rät ihr, es in einer anderen Stadt, einer größeren zu versuchen. Aber ohne Arbeitsvertrag kann Hiba nicht in eine andere Stadt umziehen. Dazu kommen fehlende Bildungszertifikate, die schwer zu bekommen seien, weil sie illegal aus Syrien ausgereist ist, und die Sprachbarriere.

Das ist das Problem. Wenn ich eine Antwort hätte: ›Sie haben nicht die Erfahrung‹, ›Sie haben keinen Abschluss‹ oder ›Ihre Sprachkenntnisse reichen nicht aus‹, dann verstehe ich das. Aber ich habe keine Antwort von keinem Unternehmen bekommen.«

Hiba wünscht sich lediglich, dass man ihr die Chance gibt, vorzusprechen. Viele Frauen mit ähnlichem Hintergrund, sagt sie, arbeiten im Kindergarten oder als Dolmetscherin, aber niemand würde in einer Fachanstellung arbeiten. Auch Hiba wird zukünftig eine Arbeit in einem Kindergarten aufnehmen. Sie macht bald einen Freiwilligendienst aller Generationen bei der AWO. Am Ende sagt sie hoffnungsvoll:

Wenn ich keine Arbeit mit dem Computer finde, vielleicht kann ich dann eine Arbeit mit Kindern bekommen. Muss man suchen.«

Gibt es keine Stellen in der Datenerfassung in Sachsen? Wird niemand mit Erfahrungen als Ingenieursassistentin gesucht? Nirgends? Muss tatsächlich jemand, der bereits gelernt oder studiert ist und mehrjährige Berufserfahrungen hat, hierzulande nochmals mehrere Jahre einen Beruf erlernen? Und gilt das für alle gleichermaßen? Hiba ist nur ein Beispiel von vielen Frauen und Männern, die trotz hoher Qualifikationen und trotz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf dem deutschen Arbeitsmarkt stark benachteiligt sind. Wie können wir von einem Fachkräftemangel sprechen und gleichzeitig das Potenzial unzähliger Menschen – unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter, physischer/psychischer Fähigkeiten – ungenutzt lassen?

Die Landesfachstelle Interkulturelle Öffnung und Diversität (LFS IKÖD) sensibilisiert, berät und unterstützt zum Thema Vielfalt

Was es dringend braucht, ist ein Umdenken. Unsere Gesellschaft ist vielfältig und das war sie schon immer. Wir sind alle verschieden, aber genau diese Vielfalt ist eine enorme Bereicherung für Deutschland. Konzepte wie interkulturelle Öffnung und Diversity Management vermögen es, die Heterogenität der Gesellschaft zu berücksichtigen und deren Anerkennung zum Ausdruck zu bringen. Wir müssen hier zukunftsfähig denken und das Potenzial, das uns die ethnische, kulturelle und soziale Vielfalt in Sachsen bietet, als Ressource nutzen und gewinnbringend einsetzen.

Die Landesfachstelle Interkulturelle Öffnung und Diversität der AWO in Sachsen richtet sich an Führungskräfte aus Vereinen, Verbänden, Verwaltungen und Unternehmen in Sachsen, die bereit für einen bewussten und gesteuerten Veränderungsprozess sind, sowie an alle Interessierten am Umgang mit Vielfalt. Unser Ziel ist es, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, Zugangsbarrieren abzubauen und die Vielfalt unserer Gesellschaft in allen Bereichen widerzuspiegeln.

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