LSBTTIQ* in der Arbeitswelt

Juni ist Pride Month und steht ganz im Zeichen von Diversität und Gleichberechtigung. Seit mehr als 40 Jahren feiert die LSBTTIQ*-Community in diesem Monat die Offenheit ihrer Sexualität und weist auf die Missstände gegen queere Menschen auf der ganzen Welt hin.

Wie steht es denn um die Belange der LSBTTIQ*-Community in der Arbeitswelt? Ist die Vielfalt in Unternehmen endlich angekommen? Und können wir von Gleichberechtigung reden?

Die LFS IKÖD hat bei Martin Wunderlich von der Fachstelle LAG Queeres Netzwerk Sachsen und Silke Világosi, ehemalige Betriebsrätin, nachgefragt.

Selfie Foto von Martin Wunderlich im Home Office

MARTIN WUNDERLICH – Fachstelle LAG Queeres Netzwerk Sachsen e.V.

Ansprechpartner*innen im Unternehmen zu benennen, LSBTTIQ*-Netzwerke zu fördern, Leitbilder und Handlungsrichtlinien (auch für Klient*innen) zu entwickeln – all das sind konkrete Maßnahmen.

LFS IKÖD: Der Juni ist Pride Month und steht ganz im Zeichen von Diversität und Gleichberechtigung. Wie sieht es denn in unserer Arbeitswelt mit der Gleichberechtigung für LSBTTIQ*-Personen aus?

Martin Wunderlich: Laut der Studie „Out im Office?!“ aus dem Jahr 2017 erleben rund 75% der lesbischen und schwulen, 95% der bisexuellen und 83% der Trans*-Personen in mindestens einer Form Diskriminierungen am Arbeitsplatz. Dies spricht dafür, dass LSBTTIQ*-Personen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung einem deutlich erhöhten Diskriminierungsrisiko am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Ca. 30% der Befragten verschweigen deshalb ihre Identität am Arbeitsplatz, bei Trans* sind es über 60%. Weiterhin berichteten Betroffene, aufgrund von Diskriminierungen einen Job nicht bekommen oder Jobverlust und Versetzungen erlebt zu haben, einigen wurde die Führungskompetenz abgesprochen.

Die Arbeitswelt in Sachsen steht bestenfalls am Anfang bezogen auf Diversity Management und echte Gleichberechtigung. Wissen über die Lebensrealitäten von LSBTTIQ* ist sehr wenig in Unternehmen vorhanden. Vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), die ja immerhin das Rückgrat der sächsischen Wirtschaft bilden, wird sexuelle und geschlechtliche Vielfalt kaum thematisiert.

LFS IKÖD: Viele LSBTTIQ* verbergen ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität gegenüber ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten. Was sind die Hürden?

Martin Wunderlich: Wir dürfen nicht vergessen, dass ‚Geschlecht‘ omnipräsent ist. Ein „Verschweigen“ ist beispielsweise für trans- und intergeschlechtliche Mitarbeiter*innen oft kaum möglich bzw. nur mit hohem Energieaufwand verbunden. Auch das Thema Coming-Out am Arbeitsplatz wird oftmals auf ein vermeintliches Thematisieren sexueller Praktiken reduziert. Aber solche Stigmatisierungen und auch Exotisierungen sind vollkommen falsch! Oftmals geht es beim Outing um die allgemeine Lebensführung: Familie, Freizeit, Urlaub, Aufstiegschancen – Fragen also, die die gesamte Kolleg*innenschaft betreffen. Außerdem outen sich heterosexuelle cis-Personen unbewusst sehr häufig und selbstverständlich! LSBTTIQ*-Menschen haben dieses Privileg oft nicht.

LFS IKÖD: Welche Empfehlung habt ihr für Unternehmen im Umgang mit LSBTTIQ* und welche Maßnahmen braucht es eurer Meinung nach in der Arbeitswelt?

Martin Wunderlich: Man kann sich im Unternehmen einmal selbst fragen: Wie viele Kolleg*innen habe ich, über deren Familien- und Lebensverhältnisse ich nichts weiß? Bringen meine Kolleg*innen Ihre Partner*innen mit zur Weihnachtsfeier? Für LSBTTIQ* ist das nicht so einfach, wenn sie mit Abwertung, Staunen, Exotisierung oder konkreten Nachteilen rechnen müssen.

Letztlich geht es nämlich um Wertschätzung. Die positiven Effekte eines LSBTTIQ*-freundlichen Umgangs sind hinreichend belegt: Diverse Teams arbeiten kreativer und erfolgreicher. LSBTTIQ* bringen spezifische Kompetenzen wie Resilienz, Konfliktfähigkeit und Geschlechterkompetenz mit. Offenes Diversity Management erhöht die Attraktivität der Arbeitgeber*innen – auch für Arbeitnehmer*innen, die selbst nicht von Diskriminierungen betroffen sind, aber ein offenes Klima schätzen.

Deshalb empfehlen wir, die Haltung und Praxis der Antidiskriminierung/Inklusion, z.B. durch Awarenessworkshops einzuüben. Letztlich braucht ehrliches Diversity Management auch eine bewusste und inklusive Kommunikation. Dafür braucht es auch keinen „Anlass“, man kann einfach anfangen. Ein barrierefreier Bewerbungsprozess kann ebenfalls helfen, wo Inkongruenzen von Aussehen, Zeugnissen und Name keine Rolle spielen. Ansprechpartner*innen im Unternehmen zu benennen, LSBTTIQ*-Netzwerke zu fördern, Leitbilder und Handlungsrichtlinien (auch für Klient*innen) zu entwickeln – all das sind konkrete Maßnahmen.

SILKE VILÁGOSI – ehemalige Betriebsrätin

Meine Erfahrungen aus dem Arbeitsleben sind, um so offener und normaler ich selbst mit meiner Lebensweise umgehe, umso einfacher ist es auch für Kolleg:innen und Vorgesetzte damit umzugehen.

LFS IKÖD: Unsere Arbeitswelt ist bunter und vielfältiger geworden. Und dennoch fühlen sich laut einer Studie rund drei Viertel der LSBTTIQ*-Personen am Arbeitsplatz diskriminiert und/oder ausgegrenzt. Warum ist das so und was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Silke Világosi: Auch in der heutigen Zeit sind Vorgesetzte und Kolleg:innen nicht aufgeklärt und geschult im Umgang mit LSBTTIQ*-Personen es sind oft die Unwissenheit und die mangelnden Berührungspunkte mit LSBTTIQ*-Personen, die falsches Verhalten hervorrufen. Unsere Gesellschaft ist immer noch nicht in der Lage, offen und unvoreingenommen mit Diversität umzugehen.

LFS IKÖD: Viele LSBTTIQ* verbergen im Vergleich zu heterosexuellen Menschen häufig ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität gegenüber ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Wieso ist die Geschlechtsidentität mehr als eine Privatangelegenheit?

Ein Porträt von Silke Világosi, die kurze Haare hat, lächelt und eine Jacke und einen Schal trägt

Silke Világosi: In vielen großen Betrieben gibt es mittlerweile Diversity-Abteilungen oder –Beauftragte. Aber es gibt doch noch immer, auf Grund von veralteten und konservativen Führungsstielen, Ausgrenzungen und Vorurteile. Ich kann mir gut vorstellen, dass LSBTTIQ*-Personen aufgrund ihrer Erfahrungen Angst haben, bei Beförderungen übergangen zu werden.

LFS IKÖD: Welche Empfehlung haben Sie für Unternehmen im Umgang mit LSBTTIQ*?

Silke Világosi: In der Industrie gibt es heute Industriestandards und Zertifizierungen. Diese beinhalten unter anderen Umgangsregeln (Compliance). Leider wird hier oft noch nicht explizit auf LSBTTIQ* hingewiesen. Diese Compliance werden unter Mitarbeiter:innen und Vorgesetzten geschult. Somit könnte man Unwissenheit und Berührungsängste abbauen.

LFS IKÖD: Wie können LSBTTIQ* zur Vielfalt im Unternehmen beitragen?

Silke Világosi: Meine Erfahrungen aus dem Arbeitsleben sind, um so offener und normaler ich selbst mit meiner Lebensweise umgehe, umso einfacher ist es auch für Kolleg:innen und Vorgesetzte damit umzugehen.

Neuigkeiten & Termine

Präsentation „Wenn ich eine Zauber:in wäre…“

Am vergangenen Freitag waren wir im Ukrainischen Haus in Dresden zur Präsentation der AWO Broschüre „Wenn ich ein:e Zauber:in wäre…“. Es war ein bewegender Nachmittag, an dem die Kinder und Jugendlichen, welche im Buch zu Wort kommen, selbst anwesend waren.
Martin Chidiac, Nicole Chumakova und Margit Weihnert halten die Broschüre und schauen auf die Kamera
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