Die Stimmen nach einer Gesamtstrategie, nach einer Vision, nach einem Master-Plan für die Pflege werden immer lauter. Im zweiten Jahr der Pandemie blicken viele Menschen in diesem Land mit großer Sorge in die Zukunft. Die Kernfrage ist: Wer pflegt in Zukunft? Ist das noch die gut ausgebildete Pflegefachkraft? Oder doch eher die ungelernte Pflegekraft unter Anweisungen einer Fachkraft, die den Pflegebedürftigen möglicherweise selbst kaum noch sieht, jedoch die „Akte“ zu jenem gut kennt? Oder ist es die „gute Seele“, die sich zum Studium oder zur Rente noch etwas dazuverdient?
Kein noch so genialer Arzt kann seine Patienten heilen, wenn die Pflegerin fehlt.“ (Gertrud von Le Fort (1876-1971), deutsche Schriftstellerin).
Es fehlen schlichtweg helfende Hände, zu welchen Menschen sie auch immer gehören. Eine Entwicklung, die durchaus erwartbar und politisch lange bekannt war. Die Corona-Pandemie macht – wie schon häufig bewertet – diese Situation nur „wie durch ein Brennglas“ sichtbar. Pflegethemen gehen inzwischen täglich durch alle Formen medialer Präsenz. In Frage gestellt wird, ob pflegerische Versorgung in Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen noch sichergestellt sei. NOCH! Die Frage müsste eher so gestellt werden: WIE wird derzeit die pflegerische Versorgung sichergestellt und WAS wird oder kann getan werden, um sie auch in Zukunft sicherstellen zu können? Von Massenflucht aus dem Pflegeberuf, dramatischer Personalsituation, Versorgungsengpässen und -zusammenbruch bis hin zu humanitärer Pflegekatastrophe ist die Rede, Begriffe wie PFLEXIT tauchen auf.
Die Stimmung bei Pflegekräften ist – milde ausgedrückt – als extrem schlecht zu bezeichnen. Das Spektrum der Gefühle reicht von verärgert bis wütend, von genervt bis verzweifelt. Am schlimmsten für mich auszuhalten ist, dass viele engagierte Pflegekräfte mit Fachkompetenz und Herz, inzwischen mut- und kraftlos bis hin zu resigniert und desillusioniert sind. Viel wurde versprochen, wenig gehalten. In Corona-Zeiten wurde geklatscht und heroisiert, Prämien wurden unter entwürdigenden Diskussionen gezahlt. Die Arbeitsbedingungen sind geblieben und haben sich noch weiter verschärft. Das Gehalt hat sich durchaus etwas verbessert. Rühmen muss sich damit dennoch keiner.
Maßnahmen, um mehr Menschen in den Pflegeberuf zu bringen, haben dazu geführt, dass Pflege in den vergangenen Jahren systematisch und professionell stark abgewertet und damit deprofessionalisiert wurde. Bereits zu Beginn der 2000er Jahre wurden z.B. die Zulassungsvoraussetzungen zur Pflegeausbildung auf Hauptschulniveau herabgesetzt (2003 und 2004). Immer mehr pflegerische Tätigkeiten wurden und werden auf Hilfs- und Assistenzkräfte verlagert (z.B. Betreuung, Alltagsbegleiter*innen, Sozialassistenzen, Pflegehelfer*innen etc.), was sich mit Umsetzung von der ab Juli 2023 gesetzlich verankerten Personalbemessung für den stationären Pflegebereich fortsetzen wird. Zudem gelang es noch immer nicht, die Abhängigkeit von der medizinischen Hoheit für pflegefachliche Aufgaben und Kompetenzen zu überwinden und zu einer regelhaften und eigenverantwortlichen Berufsausübung hinzuführen. Dabei gibt sie es, die guten Modelle, aussagefähige Projektergebnisse, innovative Ansätze. Nicht wenige. Wir haben kein Erkenntnisproblem, wohl aber ein Umsetzungsproblem.
Die Frage einer ganzen Branche – etwa 1,7 Millionen Menschen – ist: Was kommt, wenn Corona vorbei ist?
Meine Vision vom Pflegeberuf ist, dass dieser endlich als gleichberechtigter und eigenständiger, hoch qualifizierter Berufszweig anerkannt wird. Und politisches Handeln danach ausgerichtet wird. Das würde sowohl den Menschen im Pflegeberuf wie auch den Menschen zugutekommen, die – jetzt oder in Zukunft – auf Pflege angewiesen sind sowie deren Angehörigen – also letztendlich uns allen.